Deutschland als Tanzland

Tanz ist die vergänglichste unter den performativen Künsten, doch zugleich baut jede neue Tanzschöpfung und ästhetische Entwicklung auf früheren Arbeiten auf, führt diese weiter oder entwirft radikale künstlerische Gegenpositionen. Die Vielfalt des Tanzes in Deutschland ist nicht zuletzt dadurch geprägt.

Bedeutende ästhetische und pädagogische Beiträge von Tanzschaffenden haben die Entwicklung des Tanzes in Deutschland und weltweit beeinflusst. Doch anders als im Sprech- oder im Musiktheater bleibt davon oft kein Text, keine verschriftlichte dramaturgische Struktur als kulturelles Wissen erhalten. Die Vielfalt des tänzerischen Schaffens in Geschichte und Gegenwart wäre verloren, würden nicht Dokumente und Materialien der Tanzkunst in Archiven und Sammlungen bewahrt.

Tanz ist die vergänglichste unter den performativen Künsten, doch zugleich baut jede neue Tanzschöpfung und ästhetische Entwicklung auf früheren Arbeiten auf, führt diese weiter oder entwirft radikale künstlerische Gegenpositionen.

Deutschland ist ein Tanzland

Die deutschen Tanzarchive bewahren deshalb einen großen Schatz von rund einer Million Dokumente zur Tanzgeschichte auf. Dazu zählen nicht nur Manuskripte, Briefe und Kritiken, sondern auch Fotos, Kostüme, Filme oder Videos. Dieses kulturelle Erbe gilt es zu bewahren und für kommende Generationen auch über Landesgrenzen hinaus sichtbar zu machen. Fünf Tanzarchive – das Archiv Darstellende Kunst der Akademie der Künste Berlin, das Deutsche Tanzarchiv Köln, das Deutsche Tanzfilminstitut Bremen, das Mime Centrum Berlin und das Tanzarchiv Leipzig – agieren seit 2007 im Verbund deutscher Tanzarchive (VdT). Gemeinsam arbeiten sie an einer Präsentation ihrer Sammlungen im Internet, d.h. zunächst vor allem an Lösungen für die enormen rechtlichen, technologischen und sachlichen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Die Digitalisierung und online-Präsenz der Materialien soll auf künstlerische und wissenschaftliche Fragen Antworten geben, aber auch einem breiten Publikum die Vielfalt des Tanzes nahe bringen, wie das in einigen europäischen Nachbarländern bereits geschieht (besonders Frankreich, Belgien und England). Außerdem verbinden gemeinsame Projekte die Arbeit der Tanzarchive.

Zukunftssichere Strukturen

Von besonderer Bedeutung sind die Entwicklung zukunftssicherer Datenbank-Strukturen, um dem heutigen Anspruch der Digitalisierung und Zugänglichmachung gerecht zu werden. Dazu hat der VdT verschiedene Projekte auf den Weg gebracht.
In Zusammenarbeit mit dem Fachinformationsdienst Darstellende Kunst (FID) haben die Archive des VdT exemplarisch Metadaten von Teilbeständen mit der Datenbank des FID verknüpft. Dort können ebenfalls die Datenbanken der Archive des VdT durchsucht werden. Damit entsteht eine erste Verknüpfung der Datenbanken der Archive, die dem Nutzer den Zugang und den Suchvorgang erleichtern sollen.
Ein weiteres gemeinsames Projekt ist der „Digitale Atlas Tanz“ (DAT). Der DAT wurde im Rahmen des Tanzplan Deutschland (2006-2010) als Pilotprojekt gestartet, unterstützt von der Kulturstiftung des Bundes. Der DAT informiert anhand von ersten online einsehbaren Dokumenten über Persönlichkeiten, Werke und Geschichte des Tanzes in Deutschland seit 1900. Ziel des Projekts des DAT ist ein künftig angestrebtes webbasiertes Informations- und Wissensnetzwerk zwischen den Sammlungen. Bis eine solche Plattform Wirklichkeit wird, stellt der Digitale Atlas Tanz eine Auswahl bereit, die nach und nach erweitert werden soll.

Sicherung und Zugänglichmachung

Der Verbund deutscher Tanzarchive hat im Jahr 2012 die erforderlichen Arbeitsschritte im Projekt Sicherung und Zugänglichmachung der Bestände der deutschen Tanzarchive formuliert: Vernetzung der Datenbanken, Erschließung und Verzeichnung, Retrokonversion, Konservierung und Sicherung, Digitalisierung sowie Lizenzklärung. Aus insgesamt über 500 Sammlungseinheiten in den fünf Archiven wurden nach abgestuften Kriterien die 50 bedeutendsten Sammlungseinheiten ausgewählt und die Kosten abgeschätzt, die sich auf einen Gesamtbedarf von ca 8,5 Millionen Euro belaufen. Davon ist ein noch zu definierender Eigenanteil durch die Archive selbst zu erbringen, der größte Teil jedoch in einer Reihe aufeinander abgestimmter Förderanträge einzuwerben. Der Dachverband Tanz Deutschland (DTD), in dem alle Archive des VdT Mitglied sind und der als rechtlicher Träger des Verbundes agieren kann, hat in den Jahren 2012-2013 eine Reihe von Workshops mit Experten der Informationswissenschaft und der Tanzwissenschaft, Museumsfachleuten, Juristen und Vertreter großer Wissensplattformen im Internet realisiert, welche die Archive auf den aktuellsten Stand technologischer Entwicklungen und rechtlicher Diskussionen gebracht haben.

Ebenfalls fand unter diesem Stichwort im Oktober 2016 das Symposium "Zugänge schaffen! Wie Wissenschaft und Kunst vom Kulturerbe Tanz profitieren können" statt, bei dem Tanzarchive aus Österreich, der Schweiz und Deutschland, Lehrende und Wissenschaftler*innen über die Herausforderungen und Schwierigkeiten der Zugänglichmachung in der heutigen digitalen Welt diskutierten und die Bewahrung des Kulturgutes Tanz in den Fokus rückten. Zur Umsetzung dessen wurden Bund und Länder aufgefordert, das Engagement in diesem Bereich zu verstärken, um langfristig die Materialien zu sichern und einen zeitgemäßen Zugang zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang plädierten die Teilnehmer*innen auch für eine stärkere und bessere Zusammenarbeit von Archiven, Lehre und Forschung.