Das Projekt Sicherung, Digitalisierung und Vernetzung der Bestände deutscher Tanzarchive entstand im Kontext des wachsenden Interesse an Tanz als kultureller Praxis ebenso wie den strukturellen Anforderungen an die Archive, die außer dem Bestand an herkömmlichen Dokumenten zum Tanz auch zunehmend in ihrer Substanz gefährdete audiovisuelle Medieneinheiten bewahren und zugänglich machen sollen. Diese Bewahrung und Zugänglichmachung übersteigt bei Weitem die ohnehin nur sehr knappen Kapazitäten der einzelnen Einrichtungen und Institutionen.
In dieser Situation wurde die Notwendigkeit einer nationalen Initiative formuliert, die der Bestandssicherung wie auch der Erschließung und digitalen Vernetzung der Sammlungen dient. Nur in enger Zusammenarbeit und mit einer übergreifenden Förderungsstruktur können die Tanzarchive diese vor ihnen liegenden Aufgaben bewältigen und effektiv dazu beitragen, das vielfältige Tanzerbe in Deutschland zu erhalten und weiterhin sowohl der internationalen Forschung als auch der aktuellen Tanzpraxis und der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Grundlage für das Projekt war der notwendige Zusammenhang der Bestandssicherung, Erschließung, Digitalisierung und (nach Möglichkeit) Online-
Veröffentlichung von Wissensbeständen des Tanzes. Erst durch die physische Erhaltung der Objekte und Medien der Tanzgeschichte – Texte, Fotos, Filme, Briefe, Programmhefte, Kostüme, Zeichnungen, Plastiken, Bühnenbilder und Objekte des Tanzes – ist ihre Digitalisierung möglich. Und diese ist ihrerseits die entscheidende technologische Schnittstelle für die Einbeziehung der Objekte und Dokumente in die Weiterentwicklung des Wissens vom Tanz.
Für ein umfassendes Projekt der Erhaltung, Digitalisierung, Vernetzung und Veröffentlichung von Wissensbeständen des Tanzes lassen sich daher drei Arbeitsschwerpunkte formulieren:
1. Bestandssicherung und Erschließung
2. Digitalisierung
3. Vernetzung, Veröffentlichung, Wissensplattform Tanz
Im Rahmen eines VdT-Vorprojekts wurden schließlich die Bestände der fünf Archive im Verbund deutscher Tanzarchive (VdT) systematisch erfasst.
Ziele der Bestandserfassung und ihrer Auswertung sind:
1. Dokumentation des im VdT überlieferten Archivguts
2. Dokumentation der Verteilung des im VdT überlieferten Archivguts
3. Systematische und vergleichbare Dokumentation des Wissens über projektrelevante archivische Parameter (Verzeichnung, Sperrung, Rechte, Digitalisierung u.a.)
4. Erarbeitung einer Grundlage für die Entscheidung über die notwendigen Maßnahmen im Bereich der Sicherung und Zugänglichmachung von Archivgut für das geplante Projekt
5. Erarbeitung einer Grundlage für eine Kostenschätzung der notwendigen Maßnahmen
Im Rahmen der Bestandserfassung sollten und konnten keinerlei erschließende Maßnahmen durchgeführt werden; es wurde der qualitative und quantitative Ist-Zustand der Bestände abgefragt. Die Konzeption und Durchführung erfolgten durch Franziska Latell.
Die folgenden Daten wurden erfasst:
· Benennung der Sammlungseinheit
· Profession des Bestandsbildners
· Kurzbeschreibung der Sammlungseinheit
· Provenienz der Bestände
· Stand der Einlagerung
· Bearbeitungsstand
· Vollständigkeit der Verzeichnung
· Tiefe der Verzeichnung
· Sperrung
· Rechtslage
· Zugänglichkeit
· vorhandene Materialarten/Objektgattungen (innerhalb einer Sammlungseinheit)
· Umfang/Stückzahlen (pro Materialart/Objektgattung)
· Zustand/Schadensbilder (Papierobjekte)
· Stand der Digitalisierung
· Stand der Verfilmung
Die reinen audiovisuellen Bestände (insbesondere des Deutschen Tanzfilminstituts Bremen und des Mime Centrum Berlin) erfassten zusätzlich bzw. in Ergänzung zu den oben genannten Kriterien die folgenden Daten:
· Titel der Choreografie/Titel des Werks
· interne Signatur
· Video-/Audio-Format
· TV-Norm
· Hersteller (sofern Tonband)
· Kameraband
· Material wurde von Archiv selbst produziert (ja/nein)
· Original/Unikat/Kopie
· Bildqualität
· Vollständigkeit der Bildinformation
· Tonqualität
· Vollständigkeit der Toninformationen
Die Angaben wurden nach einem vorgegebenen Schema (Legendennummern mit vorgefertigten Antworten) dokumentiert, sodass die Aussagen zwischen den Archiven vergleichbar wurden. Auf diese Wiese konnten über den kurzen Zeitraum von vier Monaten – vornehmlich durch Hilfskräfte – mehrere zehntausende Daten generiert werden.
Um die Daten zwischen den Archiven vergleichbar darstellen zu können, wurden diese im Zuge der Auswertung vorsichtig, jedoch umfassend bereinigt. Trotzdem sind nicht alle im Rahmen der Bestandserfassung generierten Daten auswert- und mit den Daten der jeweils anderen Archive vergleichbar, da die Erfassung teilweise nicht nach den vorgegebenen Kriterien erfolgte. Eine Auswertung dieser Datensätze ist erst dann möglich, wenn die Form der Bestandserfassung für die entsprechenden Datensätze den vorgegebenen Kriterien angepasst wird. Diese Anpassung kann im Rahmen dieser Auswertung nicht erfolgen. Neben der vorliegenden Dokumentation wurden alle Bestandslisten der Archive in Rahmen der Auswertung so bearbeitet, dass alle Daten für eine weiterführende Priorisierung und Datenaufbereitung gefiltert werden können. Eine Filterung aller Bestände ist jeweils nach den erfassten Fragestellungen und ihren Abstufungen möglich.
Die Bestandsanalyse der Datenbanken des Verbunds Deutscher Tanzarchive, welche im April 2013 abgeschlossen wurde, ist unverzichtbare Grundlage für die quantitative und qualitative Bewertung des Gesamtbestandes der Archive und damit des Gesamtprojekts Sicherung, Digitalisierung und Vernetzung der Bestände deutscher Tanzarchive überhaupt.
Die Bestandsanalyse orientiert sich in ihrer Zielsetzung, eine tragfähige Datenstruktur zu beschreiben, an der Arbeit von Experten (u. a. Herr Professor Stefan Gradmann und Herr Dr. Martin Doerr), welche im Kontext der Architektur der Deutschen Digitalen Bibliothek und der Europeana akademische Arbeit bei der Konstruktion einer Wissensdarstellung der vielfältigen Objekte aus Bibliotheken, Museen und Archiven geleistet haben. Mit den Ergebnissen der Bestandsanalyse soll eine Ontologiedefinition für das Themengebiet Tanz möglich sein.
Diese Harmonisierung der Arbeitsgrundlage mit der Deutschen Digitalen Bibliothek und/oder Europeana für ein Konzept zur institutsübergreifenden Vernetzung der Tanzarchive hat zum Ziel, die Ergebnisse der Arbeit der Deutschen Digitalen Bibliothek und/oder der Europeana nutzbar zu machen und damit eine möglicherweise erhebliche Erleichterung der weiteren Schritte bei der Realisierung einer Vernetzung der Archive zu erzielen.
Die Ergebnisse der Bestandsanalyse dienen als Grundlage für die Koordination eines Förderantrags zur Vernetzung der fünf Tanzarchive.
Leitung: Prof. Dr. Stefan Gradmann (University of Leuven, Belgien; Präsident der Deutschen Gesellschaft für Informationswissenschaft und Informationspraxis)
Dr. Martin Doerr (Institute of Computer Science, Foundation for Research and Technology, Hellas / FORTH, Entwickler von Technologien der semantischen Suche)
11.05.2012, Akademie der Künste, Berlin
Leitung: Prof. Dr. Stefan Gradmann (s.o.)
Dipl. Inf. Michael Christen (Autor der Machbarkeitsstudie Deutsche Digitale Bibliothek)
01.06.2012, Mime Centrum, Berlin
Leitung: Dr. Paul Klimpel (www.irights.info)
Beratung: Prof. Dr. Stefan Gradmann (s.o.), Mathias Schindler (Project Manager, Wikimedia Deutschland)
06.07.2012, Mime Centrum, Berlin
Leitung: Dr. Markus Brantl (Leiter Digitalisierungszentrum München),
Gabriele Meßmer (Bayrische Staatsbibliothek, Digitalisierung/Metadaten)
Beratung: Prof. Dr. Stefan Gradmann (s.o.),
Prof. Dr. Thomas Fuchs (Leiter der Sondersammlungen der Universitätsbibliothek Leipzig)
09.07.2012, Mime Centrum, Berlin
Interner Workshop ohne externen Workshopleiter
Akademie der Künste, Berlin
Leitung: Prof. Dr. Stefan Gradmann (s. o.)
Gäste: Digitaler Atlas Tanz
Dachverband Tanz e. V.
Deutsche Digitale Bibliothek
Humboldt Universität/IBI
DFG
Fraunhofer Insititut
27.08.2012, Akademie der Künste, Berlin
Ausgehend von derAnnahme, dass die konservatorische Sicherung sowie die zentrale (Nutzung von Archivgut in den Archiven) und dezentrale (online) Zugänglichkeit der Bestände in den Tanzarchiven Deutschlands derzeitig primäres Ziel sein muss, konzentrieren sich die aktuellen Projekte des VdT auf eine detaillierte Dokumentation der Archivbestände, die Vernetzung der vorhandenen und zu generierenden Bestandsinformationen zwischen den Archiven, eine dezentrale (online) Zugänglichmachung dieses Wissens und die Erstellung einer möglichst hohen Anzahl von Digitalisaten.
1. Vernetzung der Datenbanken
2. Erschließung und Verzeichnung
3. Retrokonversion
4. Konservierung und Sicherung
5. Digitalisierung
6. Lizenzklärung
Um eine sinnvolle Priorisierung der Bestände für jedes einzelne Archiv und die Archive in ihrer Verbundsituation zu ermöglichen, wurden die folgenden Kriterien zur Eingrenzung der zu bearbeitenden Bestände herangezogen:
a) inhaltliche Bedeutung / nationale und internationale Relevanz
b) konservatorische und restauratorische Gefährdung
c) Nachfrage des Bestandes durch Nutzer
d) „virtuelle Zusammenführung“ von Beständen / Sammlungen
e) Rechtslage
a) Ausdruckstanz
b) Westdeutsches Tanztheater
c) Tanz und Ballett in der DDR
d) Aktuelle Formen von Tanz und Performance
Ausgehend von den Kriterien zur Priorisierung und den thematischen Feldern erfolgte in enger Abstimmung zwischen den Archiven eine vorläufige Auswahl der Bestände. Aus insgesamt über 500 Sammlungseinheiten in den fünf Archiven wurden 46 Sammlungseinheiten ausgewählt.
Die übergreifenden Schwerpunkte des Projekts „Sicherung und Zugänglichmachung“ sind in der Regel durch Bestände aus mehreren VdT-Institutionen verknüpft. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, eine „virtuelle Zusammenführung“ nicht nur der explizit auf die gleiche Person bezogenen Bestände aus verschiedenen Standorten zu erreichen, sondern auch Querbezüge zwischen den Personen zu nutzen, zu denen es Material auch in den Nachlässen anderer Bestandsbildner gibt (insbesondere im Bereich Ausdruckstanz, durch Schüler, Mitarbeiter etc.). Dazu kommen Zusammenhänge, die sich z.B. im Bereich aktueller Formen von Tanz und Performance aus der „virtuelle Zusammenführung“ von Institutions- und Künstler-Archiven ergeben.
Die Maßnahmen Vernetzung der Datenbanken, Erschließung und Verzeichnung, Retrokonversion, Konservierung und Sicherung, Digitalisierung und Lizenzklärung sind nur in sehr enger Verzahnung miteinander zu realisieren, d.h. diese Arbeitsschritte sind teilweise nicht oder kaum voneinander zu trennen. Um eine optimale, effiziente Verknüpfung und Koordination dieser Maßnahmen gewährleisten zu können, ist vorgesehen, pro Maßnahme eine Supervisionsstelle einzurichten, die die Koordinierung und Steuerung der Maßnahme im Verbund gewährleistet und die Abstimmung mit den jeweils anderen Maßnahmen durchführt.